Das Bild vereint zwei Räume. Die geöffnete Tür stellt die Verbindung zwischen Außen und Innen her. Diese Verbindung ist dauerhaft – da es keine Klinke gibt, kann die Tür nicht geschlossen werden. Auf diese Weise wird Außen und Innen gleich, die Räume verschmelzen ineinander. Bei diesem Bild ist das Material für mich von außergewöhnlicher Bedeutung. Das Bild wird vom Träger einer Geschichte zu einem Objekt. Das Leinen wurde von meiner Urgroßmutter handgewebt. Es war meine Absicht, dass ich ihre Arbeit sichtbar mache. Es war lange in Verwendung, ist fleckig und alt. Ich habe, bevor ich den Stoff bespannte, neues Leinen dazu genäht, um die vergangene Zeit eindeutig darzustellen. Die Zeit ist für mich in diesem Zusammenhang eine Brücke zwischen der Arbeit von zwei Frauen aus verschiedenen Generationen.
Der Stuhl befindet sich in Wirklichkeit im Esszimmer in dem Haus, wo ich aufgewachsen bin. Jetzt wohnt mein Vater allein in diesem Teil des Hauses, da meine Eltern getrennt leben. Das Esszimmer war ein multifunktionaler Raum für mich. Ich schrieb meine Hausaufgaben immer dort, während meine Mutter kochte. Wir spielten häufig Puzzle oder Gesellschaftsspiele. Ich schälte oft Gemüse, oder kroch beim Versteckenspielen unter die Bank. Das Esszimmer hatte verschiedene Gesichter und Farben. Im Sommer war es angenehm orangebraun, weil die Jalousie das Licht filterte. Im Winter wurde dieser Raum nicht so stark geheizt, deswegen erlebte ich das Zimmer als eine Art flüchtigen Moment – schnell holte ich irgendetwas aus der Küche, schloss rasch wieder die Tür, um schnell in die wärmeren Räume zu huschen. Dieses Zimmer war für mich etwas Stabiles, das sich nie änderte, wo ich mich nie neu an irgendetwas gewöhnen musste. Mein Vater war Antiquitätenhändler und lagerte die schönsten, wertvollsten Gegenstände, Gemälde und Möbel immer in unserer Wohnung. Seine reicheren Kunden kamen dann in unsere Wohnung, um zu schauen, was es alles gab. Er verkaufte oder tauschte oft Sachen. Unser Leben war immer in Transformation. Es gab nur dieses eine Zimmer, wo immer alles konstant war: die Stühle, der Tisch und die Bank.
Der Stuhl auf meinem Bild lenkte mich als Kind immer ab. Er war für mich etwas Besonderes. Es gibt insgesamt drei solche Sitzmöglichkeiten. Alle Sitzflächen bespannte meine Urgroßmutter mit Schnüren aus Maisblättern. Sie fertigte auch verschiedene Körbe aus Maisblättern. Als ich noch ein kleines Mädchen war, flochte sie für mich einen ganz kleinen Korb zum Spielen, ich habe ihn geliebt. Heute sind diese Sachen alt und durch jahrelange Verwendung verschlissen. Ich habe den bespannten Sitz des Stuhles in meinem Bild gar nicht dargestellt, mein Fokus liegt auf der Lehne. Diesem einen Stuhl fehlte die dritte Querstrebe an der Rückenlehne. Ich saß sehr oft dort und irgendwie schloss ich mit diesem Stuhl eine Art Freundschaft. In der Zwischenzeit ist er schon repariert worden. Der Polster im Bild ist eine Nachempfindung eines anderen Polsters. Bei meiner Urgroßmutter (sie wohnte in einem deutschsprachigen Dorf an der Südgrenze Ungarns) mussten wir Kinder auf dicken Schaumstoffpölstern sitzen, damit wir am Tisch essen konnten. Dieses Kissen war schwarz und mit feinen weißen und rosaroten Blumenmustern bedruckt. Auf meinem Bild macht dieser Polster eine Transformation durch. Er füllt sich mit meinen Gefühlen und wird zu einem rosaroten Polster mit grünen Pünktchen. Der alleinstehende Türrahmen symbolisiert für mich die vergangene Zeit. Meine Eltern maßen uns Kinder immer ab und zeichneten unsere aktuelle Größe am Türrahmen auf. So wurden die Veränderungen unserer Körper und die Bedeutung von Zeit und Vergänglichkeit sichtbar.
Das Bild zeigt meine Erinnerung an die Zeit, die ich gelegentlich bei meiner Urgroßmutter verbracht habe. Sie wohnte etwa 100 km von uns entfernt, an der Südgrenze Ungarns, in Szulok. Während der Reise dorthin waren meine Brüder und ich immer sehr aufgeregt. Auf dem Weg hatten wir bestimmte Angewohnheiten. Wir wussten, dass im Sommer in der Ortschaft Kadarkút ein sehr gutes Eisgeschäft offen hatte und wir blieben auf der Fahrt dort immer für eine halbe Stunde stehen. Nach Kadarkút kam eine Ortschaft, die Lábod heißt. Übersetzt auf Deutsch bedeutet Lábod „dein Bein“. Wir hatten eine Regel, dass wenn wir dieses Dorf erreichten, jemand fragen musste: „Wo sind wir?“ Mein Großvater antwortete immer „Lábodon!“, das heißt „Auf deinem Bein!“ Wir lachten jedes Mal. Als wir schon ganz in der Nähe von Szulok waren, musste jeder von uns genau auf die Straße schauen. Wir hatten einen Wettbewerb veranstaltet, bei dem es darum ging das Haus von meine Urgroßmutter als erstes zu erblicken und sofort loszuschreien. Wir schauten so konzentriert, dass wir fast Glotzaugen bekamen. Meine Urgroßmutter hatte ein langes rosa-gelbes Bauernlehmhaus. Ihre Gartentür hatte kein Schloss, nur einen Riegel. Mein Großvater bog mit dem Auto immer ganz langsam ab, weil die Brücke über den Kanal sehr schmal war. Er parkte nicht immer im Hof, sondern blieb oft einfach auf dieser kleinen Brücke stehen.
In meiner Kindheit war es meine größte Freude, in die verzauberte Welt meiner Urgroßmutter einzutauchen. Bei ihr war meinen Brüdern und mir viel mehr erlaubt als zu Hause. Ich freute mich schon Tage vor der Reise darauf, dass ich die goldgelbe Hühnersuppe salzen durfte, obwohl sie nie lind war. Vor lauter Aufregung fertigte ich mit meinen Brüdern imaginäre Landkarten, auf denen wir den Weg während der Fahrt verfolgten. Wir durften in ihrer verlassen wirkenden Scheune spielen, suchten Hühnereier und trennten die Maiskörner händisch vom Kolben ab. Wir fütterten auch manchmal die Hühner und ihre speziellen stummen Enten. Sie hatte auch einen Ziehbrunnen. Wenn ein Erwachsener neben uns stand, durften wir Wasser hinaufziehen. Meine Urgroßmutter hatte nämlich keinen Wasseranschluss, keinen Abfluss und kein Badezimmer im Haus. Manchmal durften wir nach dem gemeinsamen Mittagessen im Nebenzimmer spielen. Dort türmte meine Urgroßmutter oft drei, vier Tuchenten auf dem Boden aufeinander. Wir Kinder durften nacheinander auf ihr altes, ganz hohes Bauernbett hinaufklettern. Von dort sprangen wir dann mit großem Schwung in die Tuchenten hinein. Eine gefühlte Unendlichkeit haben wir dieses Spiel fortgesetzt. Als Kind war dieses Gefühl, das ich während des Spieles empfand, so unbeschreiblich befreiend.
Mein Bild versucht diese Ereignisse aus der Sicht eines Kindes darzustellen: Der dunkelbraune Schiffsboden, die lustigen Bettüberzüge und die warme Atmosphäre ihres Hauses. Die auf den nicht grundierten Teil der Leinwand auslaufenden Linien repräsentieren die Zeit des Spieles und eine dadurch entstandene Dauerbewegung. Ich verwende für dieses Bild wieder das handgewebte Leinen meiner Urgroßmutter, um ihre Anwesenheit zu stärken und ihre Spuren, die sie in meinem Leben zurückgelassen hat, sichtbar zu machen.
Beim letzten Besuch meiner Eltern in Ungarn habe ich zufällig eine meiner Lieblingsbücher aus meiner Kindheit entdeckt, von Erich Kästner Der 35. Mai oder Konrad reitet in die Südsee von 1932. Als ich die ersten Seiten las wunderte ich mich über die wieder in Erinnerung gerufene Geschichte, in der der Bursche Konrad in der Wohnung seines Onkels einen Handstand auf dem Schrank machte und dann von dort aus auf eine Tuchent am Boden sprang. Ich kann mich nicht genau erinnern, aber ich glaube, wir haben dieses Spiel bei meiner Urgroßmutter bereits gekannt, bevor ich das Buch von Erich Kästner gelesen habe.
Mein Großvater war Weinbauer, was für ihn gleichzeitig sein Hobby und seine Berufung war. Er arbeitete sehr viel auf unseren zwei Weinbergen. Die unendlich lang wirkenden Rebenreihen hatten mich von klein auf schon fasziniert. Die Leidenschaft meines Großvaters hatte für die ganze Familie reichlich Arbeit bereitet. Er stellte verschiedene Weinsorten her: Welschriesling, Muskateller, Königstochter und Traminer. Wenn der Wein fertig war, füllten wir ihn ab, etikettierten und versiegelten ihn. Jedes Jahr kaufte mein Großvater zu Frühlingsanfang große Mengen an Flaschen. Ich weiß nicht warum, aber er kaufte immer schon verwendete alte Flaschen und recycelte sie – vielleicht aus finanziellen Gründen. Die Flaschen waren alle gleichförmig und dunkelgrün, mit verschiedenen Etiketten von handelsüblichen Weinsorten versehen. Mein Großvater stellte dann große bordeauxrote Wannen in unserem Hof auf. Er füllte alle Wannen mit Wasser und gab die Flaschen in diese hinein. Meine Aufgabe war es die alten Etiketten, die sich leicht ablösten, zu entfernen, damit die Flaschen anschließend gründlich gereinigt werden konnten. Meine Brüder halfen mir sehr gern dabei. Wir sahen diese Beschäftigung nicht als Arbeit, sondern vielmehr als Spaß. In manche Flaschen waren die Korken hineingedrückt. Wir zogen diese mit einem selbst gemachten Werkzeug wieder heraus. Auf ein Stück Rundholz, das als Griff diente, war eine Schleife gebunden. Wir führten diese in die Flasche hinein und zogen die Korken damit heraus. Ich kann mich noch an die gummierte Oberfläche der Etiketten erinnern und daran, wie es klang, wenn die Flaschen sich gegenseitig berührten und an der Seitenwand der Wanne ankamen. Es war eine schöne Beschäftigung. Wir freuten uns immer, wenn alle Flaschen fertig waren und waren stolz auf unseren Beitrag.
Als nächster Schritt folgte die Innenreinigung der Flaschen mit einer speziellen Maschine. Dabei halfen wir selten, aber schauten oft zu. Mein Großvater befüllte dann die Flaschen und manchmal durften wir den Korkenapparat bedienen. Das war nichts Besonderes: Wir mussten nur die Korken in die Vorrichtung hineingeben und den Hebel betätigen. Dann wurde die Siegelfolie mit Hilfe von heißer Luft auf den Flaschenmund geschweißt. Meine Cousine und ihre Freundin saßen im Sommer immer im Keller und klebten händisch Etiketten auf die Flaschen auf. Es kamen sehr viele deutsche und österreichische Touristen und kauften kistenweise unseren Wein.
Am Weingut meines Großvaters fiel zu jeder Jahreszeit Arbeit an. Ich genoss die großen Ereignisse wie die Weinlese oder die Ankunft der Flaschen am meisten. Es war
eine wichtige Erfahrung, die mich geprägt hat. Auch lernte ich, dass man Spaß und Ausdauer beim Arbeiten haben kann. Mein Großvater erklärte mir immer wieder, dass er schon ein großes Fass von
seinem besten Wein für meine Hochzeit auf die Seite gelegt hat. Das war eines seiner Lieblingsthemen. Meine Urgroßmutter bejahte diese Aussage ständig und fügte hinzu, dass sie auf meiner
Hochzeit mit mir tanzen werde. Diesen Wein gibt es nicht mehr und ich bin (noch) nicht verheiratet.
Das Thema „Wanne mit Flaschen“ habe ich deswegen für mein Bild gewählt, weil es mich an meinen Großvater erinnert. Ich habe die Wanne aus der Vogelperspektive
gemalt, weil sie so in meinen Erinnerungen vorkommt.
Meine Großmutter verbrachte sehr viel Zeit mit uns, wir wohnten in einem gemeinsamen Haus – die Großeltern im Erdgeschoß, meine Eltern und mein kleinster Bruder im ersten Stock, der andere Bruder und ich im zweiten Stock. Nach der Schule und dem Musikunterricht ging ich nach Hause und meine Großmutter passte auf mich auf, während meine Eltern noch arbeiteten. Meine Großmutter war eigentlich immer zu Hause und sie durfte nicht schwer arbeiten, da sie mehrere Herzoperationen hinter sich hatte. Eine unserer Lieblingsbeschäftigungen war es, in der Küche Mehlspeisen für die Familie zuzubereiten. Wir buken zweitägig immer was Neues, weil immer alles ganz schnell aufgegessen war. Ich stöberte so gern in ihrem handgeschriebenen, braunen Rezeptbuch und suchte den nächsten Kuchen aus. Meine Großmutter lagerte in der Speisekammer immer mehrere Kilo Mehl, Zucker und andere Zutaten. Von meiner Urgroßmutter nahmen wir immer viele Eier mit, damit wurde der Teig schön gelb. Sie fütterte ihre Hühner immer mit Mais, daher rührte auch die schöne gelbe Farbe des Dotters. Die Geburtstage in der Familie waren immer etwas Besonderes, deswegen bereiteten wir je nach Wunsch prächtige Torten zu. Meine Großmutter ließ mich die Torten schmücken, was ich sehr gern tat. Mein Bruder Martin war vernarrt in Zügen und so buken wir Biskuit und schnitten diesen in kleinere Stücke, um mehrere Waggons bauen zu können. Wir rührten eine Schokoladencreme und klebten die Stücke damit zusammen. Wir platzierten Kekse als Räder an der Seite und schmückten die ganze Torte mit bunten Smarties.
Meine Großmutter brachte mir alles Mögliche bei, wir walzten und trockneten auch unsere Suppennudeln selber. Das Kurbeln an der Nudelmaschine genoss ich besonders. Wir lagerten die Nudeln lustigerweise in mit Papier ausgelegten Schuhschachteln über dem Schrank im Schlafzimmer meiner Großeltern. Später, wenn die Nudeln dann in der Suppe schwammen, erfüllte es mich mit Stolz. Einmal sollte ich einen Teig vorbereiten und meine Oma war nicht in der Küche. Meine Hände zitterten vor Aufregung, dass ich jetzt allein einen Teig vorbereiten sollte. Die Eier legte ich auf das Küchenpult und wendete mich ab, um Mehl zu holen. Auf einmal hörte ich, wie ein Ei auf den Boden krachte. „Platsch!“ Sofort fühlte ich Angst, was sollte ich meine Großmutter sagen? Bevor ich mir weitere Gedanken machen konnte, kam sie herein. Aber sie blieb ganz ruhig und sagte, es sei nur ein Ei und ich solle einfach das geplatzte Ei in den Teller der Katze hineinlöffeln und nachher nass aufwischen. Ihre Worte beruhigten mich und ich werde sie wahrscheinlich nie vergessen.
Außerdem waren Brandteigkrapferln, zur Freude meines Großvaters, eine ihrer Spezialitäten. Als die Krapferln fertig gefüllt waren, lagerten wir sie in einem kühlen
Raum in einem Nebengebäude auf unserem Grundstück. Jeder in der Familie ging geheim immer wieder hinein und aß ein zwei Krapfen. Mein Großvater kam immer mit vollem Mund heraus und sagte: „Nehogy
elmondd a Maminak!“, also übersetzt „Verrat mich deiner Großmutter nicht!“ Wenn ich an solche Tage denke, muss ich immer lächeln. Sie fehlen mir.
Die Erinnerungen an das Backen mit meiner Großmutter haben sehr viele verschiedene Facetten. Zu diesem Thema könnte ich mehrere Bilder malen. Meine Entscheidung fiel
trotzdem an ein alles zusammenfassendes Bild. Die Tortenform kommt öfters in meinen Erinnerungen vor. Deswegen habe ich mich für diesen Gegenstand entschieden. Das Bild soll allgemein für alle
Erinnerungen stehen und deshalb vereine ich verschiedene Perspektiven. Die Tortenform sieht man von der Seite, aber den Tisch und die Bodenfliesen kann der_die Betrachter_in von oben beobachten.
Die verschiedenen Farben entsprechen nicht der Realität, sondern spiegeln meine positiven Gefühle wieder. Die Bodenfliesen hatten in Wirklichkeit einen grün-gelblichen Ton mit dünnen braunen
Linien darauf.
Dieser Tisch stand im Wohnzimmer meiner Großeltern. Wenn ich diesen Raum nur mit einer Farbe beschreiben müsste, wäre die Farbe Braun. Es gab einen riesigen braunen Wandschrank, einen braunen Blumenständer, braune Jalousien, einen braunen Teppich, braunen Parkettboden, eine braune Tür, eine braune Couch, einen braunen Fauteuil, einen braune Puff, eine braune Wanduhr und der Fernsehapparat stand auf einem braunen Ständer. Wir saßen sehr oft in diesem Zimmer beim Tisch und spielten Karten. Schnapsen war unser Lieblingskartenspiel, das wir „schnapslisni“ nannten. Mein Großvater sagte oft: „Gyere Nanili játszunk egyet!“, also „ Komm Nanili, spielen wir!“
Freitagsabends gab es im Fernsehen die romantische italienische Seifenoper „Borostyán“, übersetzt „Efeu“. Wir schauten sie immer gemeinsam. Danach lief „Reich und Schön“, wie ich mich erinnern kann, auf ORF1. In unserer Familie wurde viel auf Deutsch ferngeschaut, wir empfingen mehrere österreichische und deutsche Sender. Während dieser Sendungen probierte ich oft die Kleider meiner Oma an. Ich hatte ein bestimmtes Sommerkleid sehr gern, es war hellblau, lang geschnitten und federleicht. Ich dachte während ich es anhatte, dass ich ein Schmetterling bin. Der Tisch stand immer, im Mittelpunkt unseres Lebens. Er war ein multifunktionales Möbelstück. In der Mitte des Tisches befand sich eine Art Klappfach. Es wurde nicht viel darin aufbewahrt, trotzdem war es für mich wie eine Schatzkiste. Manchmal erlaubten meine Großeltern, dass ich hineinschaue. Meine Großmutter sagte mir immer, wenn ich danach gefragt habe sie aufzumachen: „Édi, hiszen nincs benne semmi!“ Übersetzt heißt das: „Liebling, ist ja Nichts drinnen!“ Meine Großmutter bewahrte ganz unprofessionell wunderschöne Briefmarken in einem Plastiksackerl für uns Enkelkinder auf. Sie arbeitete eine Zeit lang bei der Post, musste aber wegen ihrer Herzkrankheit aufhören und blieb danach zu Hause. Die Briefmarken waren immer im Tisch im Aufklappfach. Mir lag eigentlich nichts an Briefmarken, nur das Gefühl, dass sie in meinem Besitz waren, gefiel mir. Die Gewissheit einen versteckten Schatz mein Eigen nennen zu dürfen, war himmlisch. Wenn ich den Tisch aufklappte, sah ich immer erst die Briefmarken an. Es gab noch ein kleines Fach im Stauraum des Tisches, es erschien mir wie ein inneres Regal. Im Inneren des Tisches roch es immer eigenartig, wie eine Mischung aus starkem Kölnischwasser und Soletti. Die Tischplatte konnte man durch kupferne Klavierscharniere aufklappen. Diese kupferne Farbe gefiel mir immer, weil sie mich an Gold erinnerte. Als Kind assoziierte ich Gold mit Schätzen und übernatürlichen Kräften. Obwohl das Zimmer für einen Fremden langweilig erscheinen musste, glich es für mich, mit diesem Tisch in der Mitte, einer Schatzinsel. Leider weiß ich bis heute nicht, wo die Briefmarken hingekommen sind. Meine Großmutter sammelte für mich auch neue Handtücher, Bettwäsche und Teetassen. Sie sagte mir immer, wenn ich einmal heirate gehöre das alles mir. Sie zeigte mir immer wieder, wenn sie neue Produkte in ihre Sammlung für mich hineingetan hat. Später nach ihrem Tod wollte ich meine Sachen holen, aber mein Vater hat mir nicht einmal zugehört. Die Sachen, die meine Großmutter mit viel Liebe gesammelt hat, habe ich heute nicht.
Das Thema dieses Bildes spiegelt einen Teil der Beziehung zu meinen Großeltern
wider. Sie waren immer für mich da, sie beschäftigten sich viel mit uns Enkelkindern. Der Tisch bedeutete für mich eine gewisse Konstanz, Sicherheit, und dass mein Schatz und meine Großeltern da
sind. Der offene Tisch auf dem Bild ist leer, weil ich nicht weiß, wo die Briefmarken heute sind. Meine Absicht ist, dass der_die Zuschauer_in diese Leere fühlt und vielleicht mit Unterstützung
des Titels im Stande ist, meine Erinnerungen zu verstehen.
Meine Urgroßmutter hatte einen Ziehbrunnen, daneben standen immer zwei-drei Emaileimer, die bereit waren gefüllt zu werden. Wenn ein Erwachsener neben uns stand, durften wir Urenkel den langen Ziehstab nach oben schieben und zogen so den Kübel mit dem Wasser hinauf. Der Kübel war am Ende der Stange befestigt, deswegen schütteten wir das Wasser in einen Emailkübel und trugen ihn in das Haus hinein. Meine Urgroßmutter hatte nämlich keinen Wasseranschluss, keinen Abfluss und kein Badezimmer im Haus. Sie zahlte nur für den Strom und kaufte manchmal Holz zum Heizen. Sie hat sehr auf Sauberkeit geachtet, brauchte aber keinen Wasseranschluss dafür. Sie wusch sich immer mit einer Waschschüssel und im Sommer stellte sie auf dem Hof eine große Blechwanne auf und füllte diese mit Wasser auf um zu baden.
In ihrem Haus gelangte man vom Vorzimmer aus gleich in die ziemlich große Küche. Der Boden war mit grauem Linoleum belegt, welches immer seltsam klebte, aber nicht, weil es schmutzig gewesen ist. Rechts von der Tür stand eine Gefriertruhe, daneben ein weißer Küchenschrank für Teller und Gläser. In der Ecke rechts hinten war die Speisekammertür. Neben der Speisekammertür stand ein Herd mit Gasflasche, da auch keine Gasleitung verlegt war. Im Raum gab es nur ein Fenster neben dem Herd, vor dem Fenster standen ein Tisch mit zwei Stühlen und ein Hocker. Links hinten war die Türe zum Wohnzimmer, deren obere Hälfte aus Glasscheiben bestand. Neben der Tür stand eine pastellgelbe Truhe, in der Holz gelagert wurde und die bei Bedarf als Sitzgelegenheit diente. Links von der Truhe hatte die Wand eine Auskerbung für den Kamin, auf dem immer der aktuelle Jahreskalender für christliche Feiertage hing. Davor stand ein Hocker, auf dem immer ein Emaileimer mit Wasser und mit einem Schöpfgefäß bereitgestellt war. Links davon hing ein kleiner Wandschrank mit Zahnbürste und Toiletteartikeln. Links davon und somit wieder an der Vorzimmertür angelangt, gab es noch ein Waschbecken, jedoch ohne Wasseranschluss. Beim Händewaschen musste man den Stöpsel erst mit einem blauen Textilstück hineingeben, weil der Stöpsel selbst zu klein war. Nachher konnte Wasser in das Becken geschöpft werden. Die Seife hat immer feine Risse und Spalten gehabt.Wenn das Wasser schmutzig war, zog meine Urgroßmutter den Stöpsel vorsichtig hinaus und es lief in einen Emaileimer, der immer unterhalb des Waschbeckens stand. Wenn der Kübel voll war, trug sie ihn hinaus. Ich weiß nicht warum, aber dieses außerordentliche Ritual hat mir als Kind sehr gut gefallen. Jede_r nahm sich mehr Zeit zum Händewaschen, weil dies so aufwändig war. Deswegen haben alle Familienmitglieder das Händewaschen bewusst erlebt.
Das Thema des Bildes ist für mich eine gewisse Überwindung. Ich schäme mich heute nicht mehr, dass meine Urgroßmutter kein Badezimmer gehabt hat. Es war die Art und Weise, wie sie gelebt hat und sie war mit ihrem Leben sehr zufrieden. So möchte ich mich an meine Urgroßmutter erinnern. Diese Emaileimer standen überall bei ihr, waren ein Teil ihres Lebens und sind charakteristisch für ihr Haus. Die Großzahl der Kübel hatte Ornamente, die ich damals sehr kitschig fand.
Meine Urgroßmutter hatte neben dem Ziehbrunnen einen großen Gemüsegarten. Sie baute verschiedene Gemüsesorten an, wie Pastinaken, Karotten, Zwiebel, gelbe Paprika, Salat, Gurken und Tomaten. Meine Vorfahren und auch das ganze Dorf bauten früher jede Menge Tabak auf ihren Feldern an, aber ungefähr um die Zeit, in der ich geboren wurde, wechselten alle auf Kartoffelanbau. Meine Urgroßmutter erzählte mir immer wieder, dass die Tabakblätter auf Seilen aufgefädelt wurden und diese in der Scheune zum Trocknen aufgehängt worden sind. Das ganze Gebäude war voll damit. Später verpachtete meine Urgroßmutter ihre Felder, die sie alleine nicht mehr bewirtschaften konnte. Mit der Zeit hielt sie auch immer weniger Hühner und Enten. Der Gemüsegarten blieb aber immer da, ich glaube, sie wollte nie darauf verzichten. Alle Speisen schmeckten bei ihr mit dem frischen Gemüse besser, sie gab uns auch immer vieles von ihrer Gemüseernte mit. Einmal erzählte sie, dass im Dorf niemand schöne Paprika ernten konnte, weil starke Trockenheit herrschte. Sie hatte aber trotzdem immer wunderschöne Paprika, weil sie das Unkraut nicht auszupfte und die Erde so vor dem Austrocknen geschützt war. In meinen Erinnerungen war sie sogar stolz, dass sie das Unkraut nicht auszupfte.
Ich denke sehr oft an ihre saftigen Paradeiser. Sie baute eine ganz spezielle Sorte von riesigen, unförmigen Bauerntomaten an. Von der überschüssigen Ernte kochte sie jedes Jahr Tomatensaft ein. Sie füllte den Saft in antike, mundgeblasene Bauerngläser, die sie mit Folie abdeckte. Diese Flaschen standen nebeneinander am Boden im sogenannten Gästezimmer. Dieses Zimmer wurde nicht benutzt, war aber mit einem großen Doppelbett, Schränken und einem kleinen Tisch mit zwei Stühlen sehr schön eingerichtet. Es gab auch einen Spiegel und alte Porzellanfiguren ein Reh und ein tanzendes Mädchen. Heute würde ich diese als kitschig bezeichnen. Auf dem Bett saß eine alte Porzellanpuppe, die aus der Kindheit meiner Großmutter stammte, mit dem ich aber nie spielen durfte. Dieses Zimmer roch immer nach alten Sachen und blieb stets unverändert. Die Jalousien in diesem Raum blieben meistens geschlossen. Wenn ich mich bei seltenen Gelegenheiten in das Zimmer begab, schaute ich immer die Flaschen an und suchte im Schrank nach Schokolade. In den Flaschen sank das dickere Tomatenfleisch nach unten und oben setzte sich eine Schicht dünnerer Flüssigkeit ab. Bevor meine Mutter oder meine Oma eine Suppe daraus kochte, mussten die Gläser geschüttelt werden. Ich verstand nie, warum meine Urgroßmutter diese Flaschen in diesem Zimmer lagerten, da sie doch eine Speisekammer, die von der Küche aus zugänglich war, hatte. Wir nannten sie ganz einfach „spájz“. Dieser Raum erstreckte sich schmal wie ein Flur in die Länge. An der Wand stand ein alter Bauerntisch, an dem ich oft meine Urgroßmutter stehen sah. Sie hatte zwei Waschschüsseln, die wir einfach „lavór“ nannten, in denen sie das schmutzige Geschirr abwusch. Auf einem Gestell an der Wand hingen Töpfe und Deckel. In die Speisekammer drang nur durch ein kleines, mit einem grünen Insektennetz bedecktes Fenster das Sonnenlicht. Auf dem Boden stand eine mit Schweinefett gefüllte Tonne. Am Ende des Zimmers befand sich ein großes Regal, das mit Gläsern voller eingelegter Birnen, sauer Gurken und Paprika gefüllt war.
Warum lagerte Meine Großmutter den Tomatensaft in dem anderen Zimmer und nicht in der Speisekammer? Ich weiß es nicht und werde es wohl auch nie erfahren. Das Bild steht für dieses Rätsel, das mich seither beschäftigt. Die Flaschen würde ich gerne verwenden, aber sie existieren nur mehr in meinen Erinnerungen. Als mein Großonkel das Haus nach dem Tod meiner Urgroßmutter und meiner Großmutter verkaufte, verschwanden die Flaschen mitsamt all den anderen Erinnerungsstücken. Mit diesem Bild erschaffe ich meine Erinnerungsobjekte auf meine Weise wieder.
Wir wohnten (bis meine Eltern sich 2001 scheiden ließen) in einem Haus, das von meinen Großeltern Anfang der 1980er-Jahre gebaut worden ist. Das Kinderzimmer, das ich erst alleine und im Alter von zwei Jahren mit meinem neugeborenen Bruder bewohnte, befand sich im ersten Stock. Darin standen ein großer Kleiderschrank, ein Regal mit Büchern und Spielzeugen, ein Bett und ein Gitterbett, zwei rosarote Kinderstühle aus Plastik und ein alter kleiner Tisch. In der Mitte des Zimmers lag ein riesiger bunter Fleckerlteppich. Ich hatte gelbe Bettwäsche mit kleinen Entchen und rosaroten Herzen darauf, ich liebte sie. Auf den Vorhängen waren Dinosaurier gedruckt. Meine Mutter spielte sehr oft mit uns, wir saßen auf dem Teppich und bauten Häuser oder bastelten am Tisch.
Als ich größer war, erzählte mir meine Mutter, dass sie einmal an einem Nachmittag eine Schachtel mit verschiedenen Zwirnen im Kinderzimmer vergaß. Als sie das bemerkte, wollte sie das Zimmer nicht mehr betreten, weil wir Geschwister unser Nachmittagsschläfchen machten. Sie stand an der Tür zu unserem Zimmer und hörte plötzlich, dass ich hin und her gehe, aber wollte trotzdem nicht stören, sie hoffte ich läge mich vielleicht doch wieder hin. Erst nachdem mein Bruder aufwachte und sich lautstark zu bemerken gab, kam sie ins Zimmer. Besser gesagt: Sie versuchte hineinzukommen, aber sie konnte die Tür nicht ganz öffnen. Ich hatte die verschiedenen Zwirne überall angebunden, wo ich eine Möglichkeit fand und meiner Mutter so den Zutritt verunmöglicht. Sie erzählte mir, dass das Zimmer aussah wie ein buntes Spinnennetz - mit mir in der Mitte. Mein Großonkel mütterlicherseits war gerade bei uns und versuchte die Fäden, wieder sorgfältig zu lösen und mich zu retten. Er arbeitete stundenlang, um die Zwirne wieder aufzurollen.
Eine andere Lieblingsgeschichte von meiner Mutter handelt davon, dass als sie mit meinem Bruder zwei Wochen nach der Geburt endlich aus dem Krankenhaus kam, sie ihn regelmäßig mit einer lila färbenden Tinktur einschmieren musste. Anscheinend gefiel mir das so sehr, dass ich statt eines Nachmittagsschläfchens alle meine Puppen, Zierpolster und auch die Wand damit anschmierte. Sie sagte ich wollte mich genauso um meine Puppen kümmern, wie sie sich um meinen Bruder Mathias. Ich denke, es liegt daran, dass meine Mutter diese Geschichten detailgetreu und vor allem sehr oft erzählt hat, so dass ich heute glaube, mich daran erinnern zu können.
Als ich sieben Jahre alt war, kam mein zweiter Bruder Martin am Stephanitag zur Welt. Seine Geburt brachte viele Veränderungen mit sich. Meine Eltern bauten das bisher ungenützte zweite Geschoss aus. Das alte Kinderzimmer bekam mein neugeborener Bruder, da es am nächsten zu ihrem Schlafzimmer war. Wir zogen zu zweit, mein Bruder Mathias und ich, in unser neues Zimmer mit eigener Terrasse und Badezimmer ins zweite Geschoss. Unsere Eltern kauften die neuen Möbel in Österreich, wir konnten kaum einschlafen vor Aufregung. Wir waren auch nicht gewohnt, dass unser Vater die Möbel selber zusammenbaute. Es war wahnsinnig interessant beim Bauen zuzuschauen. Das war eine aufregende Zeit. Wir spielten trotzdem viel im alten Kinderzimmer. Mein kleiner Bruder liebte Züge, Traktoren und den Staubsauger. Er saß sehr oft auf unserem Staubsauger, schob und zog ihn durch die Wohnung, vielleicht weil er unsere Mutter immer staubsaugen sah. Er bekam wahnsinnig viele Züge, er hatte welche aus Plastik und auch aus Holz. Er versuchte die Geräusche von Zügen nachzumachen und so entstand das Wort „Sukutuku“. Er nannte die Züge einfach so. Wir schoben die Züge auf dem Teppich im Kinderzimmer oder bauten manchmal auch die Gleise dazu auf. Beim wilden Spielen kam es öfters vor, dass die Züge entgleisten.
Ich habe versucht diese Ereignisse und Erlebnisse meiner Kindheit in einem Bild darzustellen. Der Teppich war das Zentrum und ein Teil des Geschehens, deswegen nimmt dieser den größten Teil des Bildes ein. Die Züge stehen für die Zeit, die wir zu dritt als Kinder verbracht haben. Ich habe die Eisenbahn in dem Moment der Entgleisung dargestellt, damit sie den Prozess des Spielens wiedergibt. Die Streifen des Leinens habe ich in den Teppich eingebaut, damit es eine Funktion im Bild bekommt. Es steht sogar symbolisch für die Eisenbahngleise.
In unserem Haus befanden sich Unmengen an Pflanzen. Mein Vater besorgte wunderschöne antike Übertöpfe und Blumenständer. Im Schlafzimmer von meinen Eltern stand eine riesiger Farn auf einem Thonet-Blumenständer. Es gab im Wohnzimmer einen säulenähnlichen Keramikständer und einen Übertopf mit einer rosaroten Blume darauf, von Anfang 1900. Ein gleicher zweiter Übertopf, mit einer blauen Blume verziert, beherbergte eine große Monstera und stand in der Küche. In der Küche und im Esszimmer standen auf dem Fensterbrett sehr viele Kakteen, die dann und wann einmal blühten, und an der Wand hingen Kletterpflanzen. Diese Art des Einrichtens habe ich in meiner Kindheit geliebt, es gab so viele Möglichkeiten die Pflanzen in mein Spiel einzubinden. Meine Mutter setzte in einer alten weißen Porzellankanne Bogenhanf. Sie erzählte mir, dass diese noch ihrer Großmutter gehört hat. Eine Frau kam wöchentlich einmal in die Stadt, wo sie aufwuchs und brachte frischen Sauerrahm. In dieser Kanne bewahrten sie diesen immer auf.
Es gibt in Ungarn einen Brauch, wonach die Frauen und Mädchen am Ostermontag von den Männern und Burschen aus der Verwandtschaft und aus dem Bekanntenkreis mit Kölnischwasser oder Parfüm „gegossen“ werden. Zuerst tragen sie ein kurzes meistens lustiges Gedicht vor und fragen ob sie „gießen“ dürfen. Nachher wird den Frauen ein oder zwei Tropfen Parfüm über ihr Haupt gegossen. Dieses Ritual soll die Frauen frisch und fruchtbar machen. Die Frauen und Mädchen schenken als Dankeschön Schokoladeneier oder gekochte bemalte Hühnereier, kleinere Burschen bekommen manchmal auch ein bisschen Kleingeld und die Erwachsenen trinken Schnaps. Diese Tradition beginnt in der Früh, die Männer gehen meistens zusammen in kleineren Gruppen zu den Frauen. Als ich klein war, habe ich nicht viel Verständnis für diesen Brauch gehabt. Von den vielen verschiedenen Kölnischwasser und Parfums stanken die Haare am Nachmittag schon gewaltig und mir wurde immer übel. Die Freunde von meinem Opa sind auch immer zu meiner Mutter und zu mir gekommen. Onkel Árpi kam immer schon ziemlich betrunken zu uns, weil er vor uns schon bei mehreren Häusern war. Er war ziemlich groß und korpulent, hatte wenig Haare und eine ganz dicke Brille. Als ich ihn kommen hörte, habe ich mich immer hinter den Pflanzen versteckt. Er nannte mich Panka und er war der einzige, dem ich das erlaubt habe, oder besser gesagt, habe ich mich einfach daran gewöhnen müssen. Nachdem er meine Oma und meine Mutter schon „gegossen“ hatte, fing er an zu schreien: „Panka gyere elő!“, also „Panka komm raus!“ Ich schrie immer zurück: „Nem megyek!“, also „Ich komme nicht!“ Es ging eine Weile so hin und her und in manchen Jahren überzeugte er mich und ich kam aus meinem Pflanzenversteck hervor. Das war jedes Jahr für mich ein lustiger Streit mit ihm, für meine Mutter war es nur peinlich, weil ich unhöflich war. Die Pflanzen waren eine tolle Hilfe bei diesem Wortgefecht.
Auf der Terrasse hatte ich mein eigenes Reich aus Kakteen aufgebaut. Meine liebe für die Kakteengewächse weckte die Mathematiknachhilfe als ich 13 Jahre alt war. Mathematik gehörte nie wirklich zu meinen Lieblingsfächern, ich hatte meistens eine Drei oder eine Zwei. Meine Mutter wollte unbedingt, dass ich mich verbessere und schickte mich zur Nachhilfe. Ich ging einmal in der Woche zu einer Mathematik- und Physikprofessorin, Irén Hetz. Sie empfing mich meistens in ihrer Wohnung. Nach der Übungen unterhielten wir uns noch und sie zeigte mir ihre Terrasse mit ihrer Kakteensammlung. Sie gab mir immer kleine Triebe mit und ich fing an zu Hause meine eigene Kollektion an Kakteen anzulegen.
Dieses Gemälde handelt von diesen Ereignissen. Meine Absicht war, wieder ein zusammenfassendes Bild zu malen. Meine Entscheidung fiel auf die Kanne für den Sauerrahm, die ich so oft versuchte habe zu enträtseln. Ich beobachtete sie öfters, es war für mich geheimnisvoll, warum meine Mutter sie gerade als Blumentopf verwendete. Heute weiß ich, dass der abgebrochene Henkel Grund für die Zweckentfremdung war. Die Erinnerungen meiner Mutter retteten ein Objekt und schufen so meine neuen Erinnerungen. Links unten auf dem Gemälde sieht der_die Betracher_in einen Abschnitt einer Gießkanne. Meine Mutter besitzt sie seit Ewigkeiten.
Wir hatten eine riesige Deutsche Dogge namens Kinga. Sie war sehr freundlich und hat auf uns Kinder immer gut aufgepasst. Sie hatte ihren eigenen schwarzen Fauteuil aus Kunstleder unter der Treppe. Ich saß auch oft dort mit einem Buch oder mit meinem Schlagzeug aus Metall. Kinga machte es nichts aus, dass sie ihren Platz mit mir manchmal teilen musste. Meistens schaute ich erst, ob der Hund da saß oder nicht und wenn der Platz frei war, setzte ich mich hin. Der Sessel war für mich ganz besonders, außer mir und dem Hund benutzte ihn niemand. Als mein Bruder seine ersten Zähne bekam, lag er neben dem Hund am Boden und kaute an seinem Schwanz. Kinga bewegte sich nicht und hatte auch nichts dagegen, was da mit seinem Schwanz passierte. Zu dem Fauteuil gehörte auch eine Couch, die sich in unserem Wohnzimmer befand. Deren Polsterung nahm ich zum Spielen manchmal von der Couch ab. Von der Rückenlehne nahm ich drei und auch von der Sitzfläche drei Kissen, dann baute ich ein Versteck daraus.
Mein Vater kaufte mit der Zeit Biedermeier Möbel für das Wohnzimmer. Die schwarze Couch musste deshalb in das größere Zimmer weichen, in den frisch ausgebauten zweiten Stock. Mein Bruder und ich wohnten im zweiten Stock in dem kleineren Zimmer. Später zog ich aus dem kleinen Zimmer aus in das große Zimmer und hatte plötzlich eine eigene Couch. Über die Treppe kam man direkt in das offene Zimmer in den zweiten Stock. In der Mitte des Raumes befand sich der Rauchfang. Die Wand tapezierte mein Vater mit Kork, dieser verlieh dem Raum ein bestimmtes Flair. Es gab nur zwei ganz schmale aber hohe Fenster, die nicht sehr viel Licht hinein ließen. Das Zimmer bot mir sehr viel Platz zum Basteln, Malen und für andere kreative Tätigkeiten. Die Couch liebte ich, sie war sehr bequem. Jedoch fühlte sich das Kunstleder im Sommer, wenn ich nur den Bikini anhatte, sehr unangenehm an auf der nackten Haut. Meine Oma strickte eine rot-gelb-schwarz karierte Decke, mit der ich sie abdecken konnte. Die Decke verrutschte aber ständig auf der glatten Oberfläche des Kunstleders. Die Couch stand schräg in der Ecke neben dem Pianino. Zwischen Couch und Wand entstand so ein bisschen Raum, der nicht verwendet werden konnte. Am Anfang bewahrte ich dort meine Barbiepuppen und andere Spielsachen auf. Später wurde diese kleine Ecke mein Geheimnis, ich versteckte dort Sachen, die meine Brüder mir gerne weggenommen hätten. Manchmal legte ich die Polsterung auf den Boden, um darauf zu liegen und den Raum am Rücken liegend von unten betrachten zu können oder ganz einfach nur um zu lesen.
Mit der Zeit ging der Fauteuil unter dem Gewicht des Hundes kaputt. Und als ich sieben Jahre alt war, starb unser Hund Kinga schließlich während er im Fauteuil saß, Kinga war schon sehr alt. Zurück blieb nur mehr die Couch. Während der Scheidung meiner Eltern musste ich mit meinen Brüdern und meiner Mutter ausziehen. Das Haus gehörte meinen Großeltern und meinem Vater. Wir zogen in ein Diensthaus, das vom Gymnasium, wo meine Mutter unterrichtete, zu Verfügung gestellt wurde. Das Haus war viel kleiner, meine Couch hätte hier keinen Platz gehabt uns so musste ich sie zurücklassen. Das neue Haus hatte aber auch Vorteile, es befand sich mitten im Stadtzentrum und ich ging dann immer zu Fuß zur Schule.
Auf dem Bild habe ich den Fauteuil und die Couch auf ein einziges Möbelstück reduziert dargestellt. Aus den von mir dargestellter Objekt (Teil) lässt sich nicht ablesen, ob es sich um die Couch oder den Fauteuil handelt, es könnte eigentlich beides sein. Die Möbel hatten den gleichen Stil und die gleiche Größe, mit dem Unterschied, dass die Couch etwas länger war. Die abstrakte Fläche rundherum könnte überall sein, ich möchte den Raum nicht festlegen. Die braune Farbe könnte die holzvertäfelte Wand im ersten Stock unter der Treppe sein, dort wo der Fauteuil stand, oder die mit Kork verkleidete Wand im zweiten Stock.
© Anna Freizberger
E-Mail: freizberger@gmail.com
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